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Wilhelm Dilthey (1833—1911) hat mehr als ein halbes Jahrhundert geschichtlicher Entwicklung in Europa als Zeitgenosse miterlebt. In der Tradition der klassischen deutschen Philosophie und Kunst aufgewachsen, prägten die humanistischen Werte der bürgerlichen Emanzipationsbewegung Diltheys Persönlichkeit. Er gehörte so zu den bürgerlichen Philosophen des 19. Jahrhunderts, die das auf eine freie Individualitätsentfaltung gegründete Menschenbild, welches sich seit der Renaissance herausgebildet hatte, gegen inhumane Zeittendenzen verteidigten. Sein Verdienst besteht darin, die philosophischen Grundsätze der menschlichen Erkenntnis, die das 18. Jahrhundert in abstraktspekulativer Form herausgearbeitet hatte, am Problem der Geschichtlichkeit konkretisiert zu haben. Zugleich begann jedoch mit Dilthey auch eine andere philosophische Traditionslinie, welche in die Lebens- und Existenzphilosophie einmündete. Die „Seinsvergessenheit" der „abendländischen Metaphysik" ist das Thema der Existenzphilosophie Martin Heideggers, der sich in seinem Hauptwerk „Sein und Zeit" (1927) ausdrücklich auf Dilthey bezog.